Zwanzigster Juli

Zwanzigster Juli
Zwanzigster Juli,
 
Datum des 1944 unter Führung von Oberst C. Graf Schenk von Stauffenberg unternommenen Attentats auf A. Hitler im Rahmen des wichtigsten Umsturzplans der deutschen Widerstandsbewegung, häufig auch Bezeichnung der Aktion selbst; Höhepunkt des Widerstandes militärischer und bürgerlich-konservativer Kreise (unter Einschluss von SPD-Mitgliedern, u. a. im Kreisauer Kreis) im nationalsozialistischen Deutschland.
 
Zentren des Widerstandes in der militärischen Führung waren 1) das Oberkommando des Heeres (OKH; die Generale L. Beck und F. Olbricht) sowie das Amt »Ausland/Abwehr« im Oberkommando der Wehrmacht (OKW; Admiral W. Canaris und General H. Oster) in Berlin; 2) die Heeresgruppe Mitte an der Ostfront (Generalmajor H. von Tresckow); die Bereiche: Militärbefehlshaber in Frankreich (General K.-H. von Stülpnagel), Oberbefehlshaber West (Generalfeldmarschall E. von Witzleben) und Heeresgruppe B (Generalfeldmarschall E. Rommel).
 
Ab 1943 verstärkten sich die Pläne zum Umsturz sowie zum Attentat auf Hitler. Im Sommer 1943 entwickelte Tresckow die Idee, die unter dem Namen »Walküre« bestehenden offiziellen Pläne zum Einsatz des Ersatzheeres bei Ausbruch innerer Unruhen für die Organisation des Aufstandes zu nutzen. Die Verschwörer wollten durch ihre Auslösung nach Hitlers Tod eine vom Widerstand gebildete Regierung an die Macht bringen (Reichsverweser Beck oder Reichspräsident W. Leuschner, Reichskanzler C. F. Goerdeler, Oberbefehlshaber der Wehrmacht von Witzleben, Außenminister U. von Hassell, Innenminister J. Leber); diese sollte den Krieg beenden und ein demokratisches Staatswesen errichten. Seit September 1943 im Allgemeinen Heeresamt des OKH tätig, arbeitete Schenk von Stauffenberg diese Umsturzkonzeption detailliert aus. Da sich viele Offiziere an ihren Fahneneid auf Hitler gebunden fühlten, war ein Attentat auf ihn für die meisten Mitglieder der Militäropposition die Voraussetzung für einen erfolgreichen Umsturz. Die inneren Unruhen, die die Auslösung der »Walküre«-Befehle und die Übernahme der vollziehenden Gewalt durch das Ersatzheer rechtfertigen sollten, mussten erst durch das Attentat herbeigeführt werden. Unter dem Vorwurf, Parteikreise versuchten der »schwer ringenden Front« in den Rücken zu fallen, sollten unter dem Stichwort »Walküre« Partei-, SS- und Gestapo-Dienststellen besetzt werden, darüber hinaus Telefon-, Telegrafen- und Rundfunkeinrichtungen, Kraftwerke und Brücken.
 
Schrittweise - auch unter dem Eindruck der Bildung des NKFD - erkannten die immer enger zusammenarbeitenden zivilen Verschwörer ihre fehlende Verbindung zur deutschen Bevölkerung und zur Arbeiterschaft (beginnende Hinwendung zu Gewerkschaftskreisen). C. Mierendorff und T. Haubach legten Pfingsten 1943 ein Konzept für eine überparteiliche Volksbewegung vor (»Sozialistische Aktion«). Besonders Leber begann Kontakte zum durch das Vorrücken der sowjetischen Armee erstarkenden kommunistischen Widerstand zu suchen.
 
Die militärische Lage Deutschlands (alliierte Landung in der Normandie am 6. 6. 1944, Einbruch an der Ostfront) verringerte die Chancen für einen Waffenstillstand zwischen den Westmächten und einer neuen deutschen Regierung und drängte zum Handeln. Die Ernennung Schenk von Stauffenbergs zum Stabschef des Befehlshabers des Ersatzheeres (1. 7. 1944 bot den Widerstandskräften die Gelegenheit, ihren Staatsstreichsplan auszuführen. Da Schenk von Stauffenberg einerseits in seiner neuen Funktion als Einziger aus dem Verschwörerkreis ein unmittelbares Vortragsrecht bei Hitler besaß, er aber andererseits der militärischen Befehlshierarchie entsprechend auch den Befehl zur Auslösung der »Walküre«-Befehle geben musste, weil der Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst F. Fromm, eine aktive Teilnahme am Aufstand verweigerte, entschloss er sich, sowohl das Attentat durchzuführen als auch die Leitung des Aufstands zu übernehmen.
 
Nach zwei missglückten Versuchen am 11. und 15. 7. zündete er am 20. 7. schließlich die Bombe, die er in einer Aktentasche ins Hauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg mitgebracht hatte, und verließ die Lagebesprechung vorzeitig. Da diese nicht wie üblich im Bunker, sondern in einer Baracke stattfand (sodass die Druckwelle der Detonation entweichen konnte), überlebte Hitler. Darüber hinaus verlor Schenk von Stauffenberg infolge seiner Doppelfunktion im Aufstandsplan für das Gelingen des Staatsstreichs wertvolle Zeit zwischen seinem Abflug von Rastenburg und seiner Ankunft im Berliner Zentrum der Verschwörung (Bendlerblock, Bendlerstraße 14; seit 1986/89 Gedenkstätte »Deutscher Widerstand«). Die Blockade der Nachrichtenverbindungen mit dem Führerhauptquartier dauerte nicht lange genug. Die Nachricht, dass Hitler überlebt habe, löste in Berlin Unentschlossenheit bei verschiedenen Eingeweihten, aber auch Gegenmaßnahmen regimetreuer Kräfte aus (Leitung u. a. J. Goebbels), sodass das Unternehmen am Abend zusammenbrach. Im Gegensatz dazu lief die Aktion in Paris planmäßig ab (Verhaftung von SS- und SD-Führung durch die Wehrmacht). Einige der militärischen Führer des Aufstandsversuchs begingen Selbstmord (z. B. Beck), andere (z. B. Schenk von Stauffenberg, Olbricht) wurden standrechtlich erschossen; die anderen militärischen Führer des Aufstandes wurden mit den zivilen Verschwörern vor dem Volksgerichtshof unter R. Freisler ohne wirksame Verteidigung bei entehrendem Prozessverlauf zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Zahl der Verhafteten betrug etwa 1 000, die der Hingerichteten über 200. Auf persönlichen Befehl Hitlers wurden alle Namensträger der Hauptbeteiligten am Zwanzigsten Juli in Sippenhaft genommen (v. a. KZ Dachau); Eigentum und Grundbesitz dieses Personenkreises wurden eingezogen.
 
 
E. Zeller: Geist der Freiheit (51965);
 
»Spiegelbild einer Verschwörung«. Die Opposition gegen Hitler u. der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung, hg. v. H.-A. Jacobsen, 2 Bde. (1984);
 
Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler u. das NS-Regime 1933-1945, hg. v. H. Walle, Ausst.-Kat. (41994);
 
20. Juli - Porträts des Widerstands, hg. v. R. Lill u. H. Oberreuter (Neuausg. 21995);
 
Für Dtl. Die Männer des 20. Juli, hg. v. K. von Klemperer u. a. (Neuausg. 1996);
 J. Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli (Neuausg. 1997);
 D. von Meding: Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli (Neuausg. 1997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
deutsche Einheit: Der Fall der Berliner Mauer und der Weg zur Einheit
 

Universal-Lexikon. 2012.

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